Die Woche der Zapatistas in Münster

Am heutigen Mittwoch, dem 29. September 2021, geht eine sehr intensive Woche mit den Zapatistas in Münster zu Ende. „Zapatistas“? In Münster? Como que…?

Am Nachmittag des 23. September 2021 kamen zehn Zapatistas in Münster am Hauptbahnhof an – ein historischer Moment. Rund 40 Aktivist:innen verschiedener linker Kollektive und Initiativen empfingen sie mit Schildern, Fahnen und Applaus. Die „rebellische Würde“ aus Chiapas, dem südlichsten Bundesstaat Mexikos, war für eine Woche zu Besuch im „Anderen Münster“.

Willkommen, Compañerxs Zapatistas!

Wer sind die „Zapatistas“?

Die Zapatistas sind eine überwiegend indigene Autonomiebewegung im Süden Mexikos. Sie erhoben sich mit Waffen am 1. Januar 1994, als in der übrigen Welt der Kapitalismus endgültig gesiegt zu haben schien. Außer wenigen Ausnahmen glaubten kaum noch Menschen an eine Systemalternative. Doch die Zapatistas, die sich seit 1983 im Lakandonischen Urwald fernab der kapitalistischen Zentren organisierten, riefen mit ihrer rebellischen Wut in Erinnerung, dass das Ende der Geschichte noch lange nicht erreicht ist und dass sie als Indígenas immer noch existieren, obwohl sie seit 500 Jahren durch den Kolonialismus und später durch die „schlechte“ mexikanische Regierung rassistisch ausgegrenzt und unterdrückt wurden. Sie riefen in Erinnerung, dass eine „Andere Welt“ möglich ist und Geschichte gemacht wird – und zwar von den Menschen selbst.

Mit ihrem Aufstand erregten sie die Aufmerksamkeit Vieler. Zuvor lebten sie in Vergessenheit unter Bedingungen, die als „Leibeigenschaft“ in Diensten von Großgrundbesitzer:innen bezeichnet werden kann. Sie hatten keinerlei Rechte, obwohl sie ihre Arbeitskraft und ihr Leben für den Reichtum der „Patrones“ hergaben. Nun erhielten sie die Chance, ihre eigene Regierung zu bauen und sich autonom selbst zu verwalten. Sie übernahmen viele Regeln aus den indigenen Traditionen ihrer verschiedenen ethnischen Gruppen und erfanden ein basisdemokratisches Räte- und Repräsentationssystem, das weltweit als Modell gelten kann, was Beteiligung und würdiges Zusammenleben angeht.

Die „Reise für das Leben“

Seit 1994 gibt es weltweit eine Solidaritätsbewegung – und gleichzeitig entstand durch ihre Inspiration die „Antiglobalisierungsbewegung“, die auf den Gipfeln von Seattle 1999 und Genua 2001 sowie an vielen anderen Orten sichtbar wurde. Die Zapatistas kritisieren seit jeher den Kapitalismus und seine jüngere Erscheinungsform, den Neoliberalismus. Hiermit riefen sie sich und die Kritik am derzeit weltweit geltenden Wirtschaftssystem in Erinnerung.

Die Ankunft der maritimen „Delegation 421“ in Vigo am 22. Juni 2021.

Immer wieder überraschen die Zapatistas mit neuen Ideen und politischen Initiativen die interessierte Öffentlichkeit. Das aktuelle „Projekt“, die „Gira Zapatista“, die Weltreise in alle Kontinente und Geografien „unten und links“ umfasst nicht weniger als die Rettung der Menschheit vor der „Hydra“ des Kapitalismus und der damit einhergehenden globalen Naturzerstörung. Damit sind neben anderen auch die Umweltschutz- und Klimagerechtigkeitsbewegungen als Verbündete identifiziert. Aber auch den Feminismus, die Gendergerechtigkeit und damit antipatriarchale Bewegungen werden von den Zapatistas angesprochen. Daher starteten sie 2021 ihre „Gira por la Vida“, ihre „Reise für das Leben“ nach Europa. Sie sehen durch den Kapitalismus und die patriarchalen Verhältnisse weltweit die Menschheit bedroht. Sie wenden sich gegen Femizide (Frauenmorde) und betonen dabei, dass sich Frauen, Lesben, Inter- und Transsexuelle sowie Non-Binäre Personen wehren müssen gegen ihre Unterdrückung. Sie selbst heben die Verteidigung der „Mutter Erde“ als ihren Kampf hervor, haben jedoch bereits vor ihrem Aufstand die Revolutionären Frauengesetze erlassen und leben die Gleichberechtigung aller Geschlechter. Entsprechend bunt fiel der „Empfang“ und ihr Besuch in Münster aus.

Die zapatistische Woche in Münster

Zunächst ging es in die Grafschaft 31 und 30, zwei Kommunen, die den Platz für die zunächst zehn, später sogar 15 Zapatistas und ihrer Verbündeten boten. Hier wurde in einer Scheune und unter einem Zeltdach tagelang gekocht, vorgetragen, diskutiert und gemeinsam gelebt.

Rebellisches Leben in der Grafschaft 31 in Münster

Die Zapatistas stellten dabei ihre Autonomie unter folgenden Punkten vor:
1. Finca – das Leben der Indigenen vor dem Aufstand
2. Clandestinidad – die erste Organisierung im Verborgenen
3. Autonomía – die rebellischen, autonomen Landkreise der Zapatistas infolge des Aufstandes
4. Caracoles – Verwaltungszentren und die Räte der „Guten Regierung“
5. Resistencia y Rebeldía – die „Schläge“ der „schlechten Regierung“ und die Reaktionsweisen der Zapatistas

Außerdem präsentierten sie ihre Sieben Prinzipien, nach denen sie leben:
1. „Nach unten gehen und nicht nach oben streben“
2. „Überzeugen, nicht Aufzwingen“
3. „Repräsentieren, nicht Ersetzen“
4. „Vorschlagen, nicht Bestimmen“
5. „Dienen, ohne sich zu bedienen“
6. „Aufbauen, nicht Zerstören“
7. „Gehorchen, nicht Befehlen“

Die „Sieben Prinzipien“ der Comunidades Zapatistas

Sie besuchten alle Gruppen und Kollektive, die an der Zehnmonatigen Vorbereitung in Münster Teil hatten, so den Odak e.V., ROSA, das Institut für Theologie und Politik, Interventionistische Linke, Perspektive Rojava, Berg Fidel Solidarisch, GegenGrau, Frauenstreik* und andere feministische Gruppen sowie die Antifaschistische Linke Münster.

🙏🏾 Danke allen helfenden Händen und Herzen!

An dieser Stelle ganz herzlichen Dank den verschiedenen regionalen Biohöfen, „Roots of Compassion“ und der „Fairteilbar“ sowie dem Druckereikollektiv „Onbones“ und der Schwarz-Roten Hilfe für ihre solidarische Unterstützung – neben den vielen anderen guten Geistern der Gira Zapatista de Münster! ♥️

Stationen der Rebellion

Am Freitag, den 24. September nahmen die Zapatistas -unterstützt durch viele Münsteraner Linke -, am Globalen Klimastreik teil, bei dem in Münster alleine über 10.000 Menschen auf der Straße waren.

Die Zapatistas beim Globalen Klmasteik in Münster

Bei dieser Gelegenheit demonstrierten sie gegen die paramilitärische Gewalt und die jüngsten Angriffe auf ihre Gemeinden in Chiapas. Denn der mexikanische Staat führt seit dem Aufstand einen schmutzigen „Krieg der niederen Intensität gegen ihre Autonomie.

Kundgebung vor dem Friedenssaal gegen Paramilitärische Angriffe auf zapatistische Gemeinden

Am Tag darauf wurde bei einem Treffen über die Jugendkultur „Ultrà“ gesprochen. Dort erfuhren sie auch Einiges über den Faschismus in Deutschland und Europa und über die verschiedenen Formen des Antifaschistischen Kampfes. Auch Vorträge über die anarchistische Bewegung und die Freie Arbeiter:innen Union (FAU) in Deutschland sowie über den Häuserkampf in Münster wurde gehalten.
Im Zentrum ihres Besuches in Münster stand ein Treffen der zapatistischen Frauen mit FLINTA*-Personen im Campamento in der Grafschaft.

Es gab einen Ausflug und einen intensiven Austausch mit der Basisorganisierung der Stadtteilinitiative Berg Fidel Solidarisch. In diesem Stadtteil entstand zuvor ein sehr großes Wandbild, das die „Reise für das Leben“ darstellt – gemalt von Aktivist:innen und Nachbar:innen.

Wandbild über die „Gira Zapatista“ in Berg Fidel

Da ihre Landwirtschaft ihre Unabhängigkeit vom Staat erst ermöglicht, war auch dies ein wichtiges Thema beim Austausch in Münster. So wurde der Hof Entrup 119 besucht, der Solidarische Landwirtschaft betreibt – in einem System von inzwischen 500 Biohöfen.

Austausch u.a. über CO2-arme Landwirtschaft

La Noche Zapatista

Am Sonntagabend trat dann das „Duo Contraviento“ auf und erinnerte durch ihr Repertoire an die schlimme Zeit der Diktaturen in Chile und Argentinien, aber auch an den Widerstand und seine Kultur. Es schlossen sich spontane Darbietungen der Zapatistas an. Durch ihre Beiträge, Reden und Lieder wurde die Nacht zu einer unvergesslichen „Noche Zapatista“. Am letzten Abend schließlich wurde gemeinsam getanzt und gefeiert – alles ohne Drogen und Alkohol, denn das schreiben ihre Regeln vor.

Baile Rebelde zum Abschied

Die Zapatistas leben mit ihrer Autonomie ein Modell für die Welt vor. Ob es die Selbstregierung, die Unabhängigkeit, die Verteidigung der „Mutter Erde“, die Geschlechtergerechtigkeit, der Antirassismus, die „würdige Wut“ oder die rebellische Haltung ist – wir in Münster haben gelernt, dass wir noch einen weiten Weg zu gehen haben…

„¡Despertad!“ – „Aufgewacht“!
Die „La Montaña“ der Zapatistas vor Vigo, Europa

3 Kommentare

  1. „….am 1. Januar 1994, als in der übrigen Welt der Kapitalismus endgültig gesiegt zu haben schien. Außer wenigen Ausnahmen glaubten kaum noch Menschen an eine Systemalternative.“

    Da hat wohl jemand mal eben eine Milliarde Chines*innen vergessen.

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